Mal wieder eine Urlaubsgeschichte.
Vor nicht allzu langer Zeit waren wir zelten, am Lago di Mergozzo. Ein kleiner See in Italien, nicht weit vom Lago Maggiore, liegt er direkt in der Einflugschneise des Wetters vom Mittelmeer in Richtung Alpen. Das heißt, wenn ein Unwetter vom Mittelmeer nach Norden zieht, bekommt man hier mit Sicherheit etwas ab.
Wir waren schon öfter hier. Hatten mit Zelt schon Sturm, Hagel, Regen und Sonne erlebt. Ein Urlaub in dieser Gegend versprach meist ziemliche Abwechslung. Oder, wie ein Campingplatz-Mitarbeiter es formulierte: „Here, you get all four seasons in one day“.
So machten wir uns auch dieses Jahr auf, um die südliche Sonne und die Berge und den See zu genießen.
Die ersten Tage waren heiß. Fürchterlich heiß. So heiß, dass ich mittags nur noch mit einem kalten nassen Handtuch um die Füße im Schatten liegen konnte. Ich bin da wohl sensibler als andere, aber es war wirklich extrem. Der See bot Abkühlung, etwas, da auch die Wassertemperaturen sich angeglichen hatten.
Dann kündigte sich jedoch die Abkühlung in Form des „Genuatiefs“ an, es sollte gewittrig werden. Nun ja.
Wir kehrten gerade von einer Wanderung heim, auf dem Weg zum Zeltplatz hatte ich das Auto in den engen Gässchen eines schönen Städtchens buchstäblich gegen die Wand gefahren (nichts passiert, nur der Schreck), da begann es zu donnern. Erst verhalten, dann drohender, man merkte richtig, wie das Gewitter über den Himmel zog und aus verschiedenen Richtungen zu hören war.
Dann setzte Wind ein. Richtiger Wind. Der See türmte Wellen auf. Die Kinder wollten ins Wasser, Windsurfen auf Luftmatratzen. Solange es nicht stark gewitterte erlaubten wir es. Wir Erwachsenen kümmerten uns drum, dass was auf den Tisch kam und noch alle ein Essen im Bauch hätten vor dem Schlafen.
Im Laufe des Abends wurde der Wind stärker. Irgendwie war ich überzeugt davon, dass der Wind nachlassen würde, wenn es endlich regnete. So versuchte ich den Kindern Mut zu machen, wir müssten nur den Regen abwarten, dann ließe der Sturm nach.
Das Zelt wurde ordentlich durchgeschüttelt. Irgendwann begann es zu regnen, hörte dann aber auch drei Tage lang nicht mehr auf. Der Sturm wurde weniger, in der dritten Nacht kam er allerdings nochmal um ein vielfaches stärker zurück.
Drei Tage tobte das Unwetter, mit mehr oder weniger Kraft. Tagsüber schlugen wir uns im Aufenthaltsraum bzw. Café des Platzes herum (der Kaffee ist hier sehr günstig und sehr gut, fatal für Kaffee-nicht-so-gut-Vertrager) und sahen immer wieder nach dem Zelt, um gelockerte Heringe festzuschlagen oder durchtropfende Stellen auszumachen. Nachts lagen wir alle im Zelt, die beiden jüngeren schliefen wie die Steinchen, wir größeren waren mehr oder weniger wach und sorgten uns mehr oder weniger, ob alles halten würde. Der See stieg an, das Rinnsal, das neben dem Platz vom Berg rann, wurde zum tosenden Wasserfall. Wolkenpferde tollten zwischen den Hügeln hindurch, und die Wellen gingen hoch.
Es war wild.
Gleichzeitig hatte ich nie das Gefühl, dass es wirklich gefährlich sein könnte. Nur in einer Nacht, ich glaube es war die zweite, stellte ich mir vor, wie sich die ausgetrockneten Bäche rundherum mit Wasser füllten und festsitzende Felsblöcke sich lockern und zu Tal stürzen könnten .. das war gruselig. Irgendwie konnte ich diese Gedanken aber immer wieder loslassen, da war irgendwo so eine Art Vertrauen, vielleicht aber auch einfach die Campingplatzinterne Logik, die man in solch unabänderlichen Momenten entwickelt: nicht das schlimmste vermuten. Das wird schon, bald haben wir’s geschafft und so weiter.
Einen schönen Moment konnte ich aber selbst in dieser Unwetternacht finden. Ich lag im Zelt, um mich her stürmte und peitsche es, es fühlte sich an als wollte der Wind unser Zelt zertrampeln oder in die Luft werfen wie einen Ball, wir waren Teil eines Spiels, das der Wind und das Wetter mit uns trieben. Und ich fühlte mich so klein. Ich dachte an die kleinen Ameisen und anderen Tierchen, die wir den Tag über gedankenlos mit unserem Fingern von unseren Schultern schnipsten, und fühlte mich in diesem Moment mit ihnen verbunden. Ich fühlte mich klein und genauso verletzlich wie eine Ameise. Aber es war kein Gefühl, das mir Angst machte, vielmehr ein kleiner Einblick oder ein Perspektivwechsel. Aber letzten Endes sind wir das ja auch angesichts der Naturgewalten: klein, verletzlich. Nur vergessen wir Menschen das immer wieder. Und dann vergessen wir, demütig zu sein.
Wir Menschen haben alles getan, um die Natur(gewalt) auszuklammern aus unseren Leben. Wir haben versucht, diese Kräfte zu bändigen, zu beherrschen und leben in unseren Betonwänden in einer Art Parallelwelt. Wenn wir Natur wollen, dann gehen wir „raus“. „In die Natur“.
Was sind wir dann selbst?
So wild zelten auch sein kann, ich mag dieses Element des Sich-nahe-fühlens. Des Sich-klein-fühlens in der Natur. In einem Kosmos von Dingen und Mächten, in den wir mitten hinein gehören. Und die wir so aus unseren Leben ausgeklammert haben. Zumindest gedanklich, denn physisch sind wir unternnbar mit ihnen verbunden, durch die Luft, die wir atmen, durch die Nahrung, die wir zu uns nehmen.
So ein Unwetter ist für mich auch ein schönes Bild für das, was in uns selbst manchmal tobt. Zweifel. Hadern. Traurigkeit, Kampf, Wut, Schwere. Alle Gefühle, die sich nicht so toll anfühlen. Die aber da sind, manchmal, um dann auch wieder zu gehen. Auch das Unwetter kam, dauerte an, und ging.
Als dann nach drei Tagen mehr oder weniger starkem Unwetter die Wolken sich verzogen, gaben sie den Blick frei auf eine Kette weiß verschneiter Bergspitzen unter einem strahlend blauen Himmel. Der See reflektierte dieses Blau ins Unermessliche und alles wirkte wie sauber gewaschen und neu.
Die Menschen, die mit uns in diesem Unwetter auf dem Campingplatz ausgeharrt hatten, waren irgendwie zusammengewachsen, es war ein Gemeinschaftsgefühl entstanden. Man hatte sich gegenseitig unterstützt oder ermutigt oder einfach erlebt. Das war schön.
Wir haben dann, da wir eigentlich schon einen Tag später gefahren wären, noch zwei Tage dran gehängt. Und die zwei Tage waren herrlich. Das Wetter nicht zu heiß und nicht zu kalt, und die Nächte so ruhig, dass beinahe etwas fehlte. Aber nur beinahe. Denn so einen Sturm wünsche ich mir so schnell nicht wieder über’s Zelt.