Über die Freiheit – oder: die Vereinbarkeitslüge

Meine Jugend erlebte ich in den „Nullerjahren“.

Das Gefühl, das meine Jugend prägte, war: Du kannst alles werden, du kannst alles machen, deine Freiheit ist unbegrenzt.

Es stimmt: als Frauen sind wir heute scheinbar freier als jede Generation vor uns. Stehen dafür aber auch unter dem enormen Druck, eben auch all das zu leben, was möglich ist.

Als Mutter habe ich gelernt: Wir sind frei, doch können wir nicht alles machen. Das scheitert allein schon an den Grenzen unserer Zeit und Energie. Wir können frei entscheiden, aber jede Entscheidung für etwas ist eben auch eine Entscheidung gegen etwas anderes.

Ich kann mich dafür entscheiden, Mutter zu sein, dann werde ich meine Energie in das Auf- und Erziehen meiner Kinder stecken. Als Mutter kann ich mich dafür entscheiden, meine Kinder viel fremd betreuen zu lassen, um selber viel Geld zu verdienen. Dann habe ich aber nicht so viel Zeit für die Belange meiner Kinder, und mir fehlt die Zeit, zuzuhören, da zu sein, eine Beziehung zu den Kindern aufzubauen und zu halten. Oder ich entscheide mich dafür, da zu sein und meine Zeit den Kindern zu widmen, dann kann ich nicht so viel Geld verdienen.

Ich kann mich entscheiden, eine Ehe zu führen. Das ist schön! Es ist schön, nicht mit all den Themen allein zu sein, die das Großziehen von Kindern mit sich bringt. Es ist schön, sich am Anderen zu spiegeln, miteinander zu wachsen, die Höhen und Tiefen des Lebens miteinander zu teilen. Aber es ist auch: Arbeit. Es kostet Zeit und Energie, heute mehr denn je, in Zeiten, in denen alles und jedes ausgehandelt werden muss.

Oder ich entscheide mich für ein unabhängiges Leben, in dem ich tun und lassen kann, was ich will, ohne fremde Bedürfnisse wie die von Kindern oder einem Ehemann mit einbeziehen zu müssen, bin dafür aber vermutlich mehr allein und muss mich anderweitig um soziale Kontakte kümmern.

Also: ja, wir sind frei. Aber alles, wofür ich mich entscheide, hat eben auch seinen Preis.

Allein daraus folgt schon, dass eben nicht alles vereinbar ist, wie uns in unserer heutigen Welt suggeriert wird. Vielleicht auch gar nicht sein muss. Wir Mütter können eben nicht eine Ehe führen, Kinder erziehen, den Haushalt in Schuss halten und gleichzeitig viel Geld verdienen. Und im besten Fall noch Freundschaften pflegen. Es scheitert schon allein an begrenzter Zeit, aber auch Energie.

Und wer sich heutzutage entscheidet, seine Kinder selbst groß zu ziehen, und sie nicht ganztägig abzugeben, der zahlt eben auch einen Preis, im wahrsten Sinne des Wortes: in Form von weniger Geld und der dauernden Sparzwinge im Nacken. Vor diesem Hintergrund scheint es Luxus, Zeit zu haben. Die Preise steigen, wir müssen mehr arbeiten für weniger Geld und die Zeit für Beziehungen, sei es zu Kindern, Partnern oder Freunden, wird zum kostbaren Gut.

Ich habe mich für drei Kinder entschieden. Und für eine Ehe. Ich will Zeit, ich brauche Zeit. Ich brauche Zeit, um zu reflektieren, wie ich meine Kinder erziehe. Um diese lauter kleinen Entscheidungen zu treffen, die das große Ganze dann eben ausmachen. Um die lauter Kleinigkeiten des Kinderalltags eben zu erledigen, sei es Kleider besorgen, einkaufen, Wäsche machen, Kindergarten- und Schulkommunikation und so weiter.

Beziehungen brauchen Zeit. Kinder brauchen Zeit. Da sein, Zuhören braucht Zeit. Selber denken, selbst entscheiden braucht Zeit. All das ist Zeit, die niemand sieht, und niemand bezahlt.

Ich habe mich für diese Form von Leben entschieden. Das heißt aber eben auch, dass alle anderen Möglichkeiten, mein Leben zu leben, weniger Raum erhalten. Zunächst. Man kann eben nicht alles zur selben Zeit haben und sein – und muss vielleicht auch nicht alles „vereinbaren“ können.

Ein Kommentar

  1. Hallo Raphaela, ich erlebe, dass Du Deine Gefühle und Lebenssituation sehr differenziert beschreibst. Ich habe immer einen großen Kraftschub erlebt, wenn ich mich, wenn auch nur zeitweise voll auf die jeweilige Gegenwart einlassen könnte oder kann, ob auf mich allein, oder als Mutter oder Gesprächspartnerin, und gleichzeitig den Fokus in mir zu halten, bei mir zu bleiben.
    Ich habe grosse Achtung vor allen, die sich auf das Abenteuer Ehe und Familie einlassen, vermutlich kann man nirgends sonst so wachsen und lernen.
    Liebe Grüße

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