
„Wirf deine Angst in die Luft!“ So beginnt das Gedicht „Noch bist du da“ von Rose Ausländer. Es ist eine Gedicht, das von der Vergänglichkeit des Lebens spricht. Nutze dein Leben jetzt, lass dich nicht von deiner Angst bremsen. Denn jetzt ist die Zeit, Träume zu leben.
Ich finde es wichtig, über Angst zu sprechen. Meiner Ansicht nach hat sie viel zu wenig Aufmerksamkeit in unserer Gesellschaft, wird oft verdrängt, geleugnet oder als Zeichen von Schwäche abgetan.
Dabei steuert sie einen Großteil unserer Handlungen! Ich denke, dass ein Großteil dessen, was wir an Strömungen in der Welt beobachten können, bedingt ist durch Handeln aus Angst. Allerdings ist es die Unbewusstheit der Angst, die so unendlich viel Schaden anrichtet! Wenn ich aus Angst handle, mir dessen aber gar nicht bewusst bin, dann kann die Angst Schaden anrichten. Entwicklung behindern.
In einer Therapiesitzung in der Kur, auf der ich vor vielen Jahren war, wurde uns das Gedicht von Rose Ausländer präsentiert als Beispiel, dass wir unsere Angst hinter uns lassen sollen/können/dürfen.
Ja klar, nutze den Moment, nutze die Kraft des Augenblicks, du lebst nur einmal.. das kann man alles so schön sagen. Dabei ist es so verdammt schwer, die eigene Angst los zu lassen! Vieles macht Angst. Veränderung. Die Suche nach Perfektion, ich meine, was ist, wenn ich etwas falsch mache? Oder was ist, wenn ich irgendwann ganz alleine dastehe? Alles mögliche könnte passiern, wenn ich jetzt diesen einen Schritt tue! Wie Juli Zeh in ihrem Buch „Über Menschen“ so schön sagt: Es ist eine ziemliche Zumutung, eine Wesen wie dem Menschen, so lebending und veletzlich, ein so großes Bewusstsein zu geben! (meine Formulierung).
Aber vielleicht ist es gar nicht das Ziel, die Angst los zu lassen
Wenn ich meine Angst loslasse, also vergesse, ausblende oder übergehe, dann gehe ich ohne einen kleinen Teil von mir weiter. Und dieser Teil holt mich dann wieder ein, aber so, dass ich es nicht merke. Wenn ich meine Angst vergesse, dann kann sie mein Handeln bestimmen, ohne dass ich es mit bekomme.
Denn Angst ist ein notwendiger Teil (menschlichen) Lebens! Wie unsicher ist alles was uns umgibt, wie unsicher die Zukunft, unsere sozialen Eingebettetheiten, wie leicht kann etwas passieren, das unsere Gewohnheiten und Sicherheiten über den Haufen wirft. Und irgendwelche Gewohnheiten und Sciherheiten brauchen wir, denn schließlich sind wir Gewohnheitstiere.
Ich bin der Meinung: Angst braucht einen festen Platz in unseren Herzen, Körpern, Köpfen. Angst sollte nicht vergessen oder in die Luft geworfen werden, sondern sie braucht einen festen Platz, an dem wir sie im Blick haben. Dann können wir sie beobachten, uns ihrer immer vollkommener bewusst werden, sie fühlen, lieben und annehmen lernen.
Und wie stark ist ein Mensch, der sagen kann: Ich habe Angst. Der seine Angst benennen kann! Unsere Kinder können das noch gut. Aber oft sagen wir dann sowas wie: „Du musst keine Angst haben“. Na toll. Die Angst ist aber da!
Statt sie zu leugnen, macht es vielleicht Sinn, sie einzubetten, ihr ein kleines goldenes Nest in unseren Herzen zu geben, und sie mit zu nehmen, auf all unseren Abenteuern. Denn letztlich sind wir genau das, an was die Angst uns erinnert: fehlbar, verletzlich und klein.
Allerdings ist das vielleicht nicht so schlimm. Letztlich kann man all die Unsicherheit, in der wir leben, auch umwerten, als etwas Gutes begreifen. Denn sie hält uns lebendig und wach! Wir sind in all dieser Unsicherheit dazu angehalten, selbst zu handeln, da zu sein, aufmerksam wahrzunehmen, was passiert, statt schläfrig, wie im Zug der Sicherheit auf die Endhaltestelle zuzusteuern.
In sofern:
"noch duftet die Nelke,
singt die Drossel
noch darfst du lieben,
Worte verschenken,
noch bist du da."1
Und vielleicht ist es auch einfach wichtig und okay!, manchmal zu sagen: ich hab' Angst. Denn das haben wir alle.
- Rose Ausländer: Noch bist du da. https://www.lyrikline.org/de/gedichte/noch-bist-du-da-555 ↩︎