Im Zeit-Magazin dieser Woche erschien ein Artikel über eine Schule in der Schweiz, Villa Monte, die im eigentlichen Sinne gar keine Schule ist. Es ist vielmehr ein Ort, an dem die Kinder spielen, ohne Zeitbegrenzung, ohne Uhren, ganz dem folgend, was gerade für sie dran ist. So lernen sie spielend bestimmte Dinge, die sie gerade lernen wollen: Schwimmen, lesen, englisch.. Sie lernen spielend, wie von selbst. Und vieles lernen sie auch nicht. Einen Abschluss haben sie danach nicht – vielmehr eignen sie sich dann, wenn sie es brauchen, die Dinge, die sie dann brauchen spielerisch an. Weil sie wissen, wozu sie Dinge lernen. Weil sie ein eigenes Ziel verfolgen.
Und nach dem Lesen dieses Artikels fragt man sich schon, warum man in den meisten Schulen durch mehr oder weniger Zwang Kindern beibringt, Dinge zu lernen, von denen die Kinder nicht wissen wozu sie sie lernen sollen? Und sie dann als junge Erwachsene auf einmal wissen sollen, was sie wollen, auf einmal selbst entscheiden sollen, obwohl sie gar nicht wissen, wer sie selber sind, was sie ausmacht, und was sie eigentlich interessiert?
Ich habe als Kind vor allem gelernt, in ein System hinein zu passen. Ich habe gelernt, dass es gut ist, wenn ich meine Impulse unterdrücke, denn für die hat sich niemand interessiert. Für die war auch gar kein Platz, denn alles lief nach irgendeinem Plan, der nicht mein eigener war. Ich habe gelernt, dass es immer jemanden gibt, der besser weiß, was für mich gut ist, als ich selbst – einen Erwachsenen. Einen Erwachsenen, der wusste, wie man die Dinge „richtig“ macht.
Klar, wenn man die Dinge selbst tut, werden sie erstmal nicht so perfekt, dann macht man Fehler, und die muss man in Kauf nehmen. Bei eigenen Entscheidungen kann man auf die Nase fallen – aber ist es besser, nie auf die Nase zu fallen, als eigene Entscheidungen zu treffen? Ist es besser ständig nach Führung zu suchen, als die eigenen Fehler in Kauf zu nehmen – „Fehler“, die die eigenen Dinge ja eigentlich erst zu den eigenen machen?
Mir scheint, dass dieses ganze System Schule, wie es bei uns gelebt wird (das ist jetzt wieder ein bisschen plakativ, ich weiß), nicht wirklich darauf ausgerichtet ist, Menschen als Menschen auszubilden. Vielmehr bringen wir den Kindern bei, dass sie unsere Pläne verwirklichen sollen, das lernen, was wir wollen, wir bringen sie auf mehr oder weniger manipulative Art dazu, das zu wollen, was wir wollen.
Als wäre der Wille der Kinder etwas, wovor wir Angst haben, was wir einschränken müssen. Oder als wären die Kinder Gefäße, in die man etwas hinein tun muss – statt dem Raum zu geben, was eh schon da ist und sich entfalten will.
In einem Philosophie-Seminar ging es neulich um Individualismus. Und darum, wie schädlich es ist, dass wir alle unsere persönliche Freiheit an oberste Stelle setzen, über alles andere, und dadurch kaum noch eine gemeinsame Welt möglich ist.
Vielleicht ist dieser Zwang zur Freiheit aber auch etwas, was daraus resultiert, dass wir nie gelernt haben, frei zu sein? Dass wir als Kinder vor allem lernen, zu funktionieren, und dann als Erwachsene so froh sind, endlich das tun zu können, was wir wollen, dass wir darüber vergessen, dass wir auch soziale Wesen sind, die Bindungen wollen und dafür Kompromisse eingehen. Oder gemeinsam in einer Welt leben, die wir gemeinsam gestalten wollen. Zum Beispiel.
Ich denke mir, dass Kinder, die so lernen dürfen, ganz aus sich heraus und mit dem Vertrauen, dass sie ihren Weg schon machen werden, anders in die Welt treten. Vielleicht können sie nicht aus dem FF den Cosinus von was-weiß-ich-was berechnen – aber seien wir ehrlich: wer von uns erinnert sich noch an all die komplizierten Dinge, die er oder sie irgendwann mal gelernt hat? Ist es nicht besser, man weiß, was man will, und braucht, und kann sich das Wissen, das man braucht, dann selber aneignen?
Für eine Demokratie und als „mündige BürgerInnen“, die ihr Leben selbst gestalten, wären solche jungen Menschen wesentlich besser ausgerüstet als solche, die gelernt haben, dass es auf sie eh nicht ankommt. Und dass es lohnenswerter ist, in einem System zu funktionieren als einen eigenen Weg zu gehen.