Sie und Er oder: die Sache mit der Wahrheit

Neulich abends war ich aus. Auf ein Bier mit Freunden. Eine Kneipe, es war noch so warm, dass wir draußen sitzen konnten. Der Mond warf sein Licht durch die Blätter einer alten Kastanie, die sich über den Biergarten wölbte, und ein ungewöhnlich warmer Wind strich um unsere Wangen. Es duftete nach Herbst.

Ein Freund erzählte. Von einer Situation aus seinem Alltag. Er übertrieb, flocht lustige Details ein, er polemisierte. Er kritisierte, machte sich auch ein wenig lustig. Seine Frau, seit langem schon sind sie verheiratet, saß mit in der Runde.

Es ist unwichtig, was er erzählte. Aber als die Frau sich plötzlich einschaltete in den Bericht des Mannes, da entstand auf einmal etwas. Im Gegensatz zu dem, was ich in vielen Beziehungen oder Gesprächen immer wieder erlebe, wo man sich mit der eigenen Darstellung der Wahrheit gegenseitig korrigieren, übertrumpfen und ausstechen will, als sei die objektive Wahrheit etwas, das man erreichen könnte, wenn man nur ordentlich wettstreitet, entstand hier auf einmal ein Bild. Der Mann ließ seine Frau ihre Sicht auf die Sache erzählen, korrigierte wiederum aus seiner Sicht, und plötzlich war das Ganze nicht mehr nur die Anekdote eines Mannes, der eine wilde Story erzählt, sondern es kam die Perspektive einer Frau hinzu, die die ganze Sache viel verständnisvoller erzählte. Egal, ob Mann oder Frau hier die verständnisvolle Rolle oder die kritisierende oder Was-auch-immer-Rolle einnehmen – mir, als Beobachtende, Zuhörende, schien hier auf einmal ein ganzes Bild zu entstehen, ein mehrdimensionales, schönes, vielschichtiges Bild einer Situation, die an sich vielleicht gar nicht so spannend war. Aber die Art, wie die beiden das erzählten, flocht eine Art Teppich aus verschiedenen, bunten Fäden.

Und indem beide das stehen lassen konnten, was der oder die andere sagte, ohne das alleinige Anrecht auf die richtige Darstellung gepachtet haben zu wollen, entstand zwischen den beiden eine Art Gebilde, eine verschiedenfarbige, bunte Gesprächswolke, die genauso bunt, wie sie eben war, schillern und glitzern durfte. Eine rundere, vielschichtigere Erzählung, als die eines einzelnen Menschen es je hätte sein können.

Manche Dinge sind schwarz oder weiß. Aber die meisten sind eben teil unserer Wahrnehmung und dadurch eingefärbt, einseitig. Und werden dann vielschichtig, rund, voll, wenn wir unsere Sichtweisen zusammenfügen. Und dabei bunte, vollere Bilder entstehen lassen.

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