Umbrüche oder Haltsuche

Jeder kennt das. Etwas verändert sich, irgendwas im Leben läuft anders, als wir uns das vorgestellt haben, und wir reagieren mit völlig anderen Mitteln als denen, die eigentlich angebracht wären.

Nehmen wir beispielsweise eine Krankheit. Eine Diagnose von etwas, das eher langwierig ist und uns erheblich im Alltag einschränkt. Meine Reaktion auf solche Sachen ist meistens: Was kann ich tun, damit das wieder weg geht? Aber nicht als rationale Frage, die eine rationale Handlung nach sich ziehen würde, sondern mehr so: Ich will das nicht, kann jemand das bitte wieder weg machen?? Am liebsten ganz, ganz schnell? Und dann tue ich alles, aber wirklich alles, damit die Krankheit/Hemmnis/Was auch immer wieder weg geht. Aber in so übertriebenem Maße, dass es einer Heilung völlig im Weg steht. Ich will ja, dass es einfach wieder läuft, am besten so wie vorher.

In dem Moment, in dem eine Veränderung eintritt, reagiere ich mit dem Rückgriff auf völlig veraltete und vergessen geglaubte Denkmuster. Viel hilft viel, blinder Aktionismus.

Umbruch ist auch immer Unsicherheit, Wackeligkeit, zumindest solange, bis die neue Struktur gewohnt ist und alles sich wieder eingependelt hat. Und genau in dieser Unsicherheit werden alte Muster lebendig, als ob ich in dieser Unsicherheit irgendein Geländer in meinem Kopf suchen würde, an das ich mich klammern kann, das mir Halt gibt.

Ich beobachte eine ähnliche Tendenz in der Welt. Alles verändert sich, ja, muss sich verändern. Lange aufgeschobene oder verdrängte Themen kommen ans Licht und fordern von uns einen Wandel, ein Umdenken. Das wären zum Beispiel der Klimawandel, aber auch die sich ständig verändernde Gesellschaftsstruktur. Durch zunehmende Migration kommt es zu Veränderungen, auf die irgendwie reagiert werden muss.

Ich nehme an, viele Menschen empfinden diese Unsicherheit als beängstigend. Lauter Krisen wachsen am Horizont und kommen immer näher, was gibt den Menschen da Halt? Aus meiner Sicht passiert hier genau das, was ich oben im Kleinen beschrieben habe. Die Menschen suchen Halt in alten Denkmustern, in alten Systemen. Nach dem oben beschriebenen Motto: Was ist das, kann das bitte jemand wieder weg machen?? Am liebsten ganz, ganz schnell!

Viele Menschen orientieren sich an alten Werten und scheinbar schnellen, einfachen Lösungen. Parteien, die einfache Lösungen versprechen, scheinen da genau richtig, denn sie bieten für alles eine scheinbare Lösung an. Dass diese Lösungen teilweise ziemlich rechts und menschenfeindlich sind, sowie unsere bisherige Gesellschaft und das, was wir an ihr schätzen, völlig auf den Kopf stellen, scheint dabei keine Rolle zu spielen.

Aber auch das ist typisch für dieses rückwärtsgewandte Denken, dass es sich nicht um Konsequenzen schert, sondern vielmehr ein Handeln aus Angst, aus dem Affekt, aus der Unbewusstheit darstellt. Es ist ein Halt-suchen in einer sich gefühlt immer schneller drehenden Welt.

Wie unfruchtbar dieses Festhalten an alten Gedanken ist, zeigt aus meinen Augen sehr deutlich der Israel-Palästina-Konflikt, der sich sogar zwischen Menschen abspielt, die inzwischen in Deutschland leben und vermutlich mehr Lebensrealität miteinander teilen als ihre Vorfahren oder Verwandten im Osten. Eigentlich äußere ich mich ungern zu so großen Themen, aber hier scheint mir ein so klares Beispiel dafür zu liegen für das, was ich versuche zu benennen: wir sind solange ungesund und leben auf einem kaputten Planeten, solange wir an althergebrachten Denkweisen und Vorurteilen festhalten.

Aber was wäre die Alternative? Was gibt uns Halt, wenn unser altes Denken scheinbar nicht mehr trägt? Es wäre schön, wenn wir neue Wege fänden, Krisen zu begegnen, die neben dem „negativen“ Potential ja immer auch Chancen mit sich bringen. Chancen, anders zu handeln als bisher. Chancen, weiter zu gehen und neue Wege zu finden. Im Hier und Jetzt, denn nur da kann sich wirklich etwas ändern.

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