„Die Arktis wird zunehmend eisfrei, wodurch Ressourcen zugänglich werden, die nur über offene Seewege erreichbar sind.“ Diesen Satz lese ich in einem Interview mit Arktis-Experte Michael Paul (Tagblatt vom 10.1.’25). Er äußert ihn als eine der Begründungen für das Interesse der USA an Grönland.
Ich lese diesen Satz und er macht mich wütend. Nicht auf Michale Paul. Der spricht ja nur aus, was er sieht. Aber er sagt so viel aus über unsere Weltsicht, dass einem davon schlecht werden kann.
Denn nicht nur werden Ressourcen zugänglich. Sondern das Schwinden des Grönlandeises wird weltweit dramatische Auswirkungen haben! Das wissen wir alle. Nicht nur werden Umweltkatastrophen zunehmen, bestimmte Teile der Erde unbewohnbar werden, sondern die Umwälzungen, die das Klima betreffen, werden erhebliche Auswirkungen auf unsere Gesellschaftpraktiken, auf Versicherungssysteme, Gesetze und unser gesamtes zivilisatorisches System haben! Denn dieses System, wie wir es kennen, ist in mühseliger Kleinarbeit an genau diese jetzigen Gegebenheiten angepasst. Unser Verständnis von Besitz beispielsweise wird erheblich durch die Tatsache mit geprägt, dass die materiellen Güter, die wir besitzen, erstattet werden, wenn sie durch Wetterereignisse geschädigt werden. Wie lange jedoch lässt sich diese Praxis aufrecht erhalten? Wenn immer mehr Besitztümer Schaden nehmen? Abgesehen davon natürlich, dass dieses Besitzanspruchsdenken nur für die Profiteure dieses Systems, also Menschen, die im westlich-nördlichen Teil der Welt leben, gilt.
Zudem offenbart sich an diesem Satz das Verständnis einer Welt, die uns zu Füßen liegt, und die wir ohne Sinn und Verstand ausbeuten können, bis uns buchstäblich der Boden unter den Füßen weg bricht.
Wie verkehrt, sinnlos und falsch muss eine Welt (hier im Sinne von Welt als das, was wir alle zusammen Tag für Tag bauen, indem wir wählen, einkaufen und Kaffee trinken gehen) sein, in der im Moment des Zusammenbruchs dieses geschaffenen Systems über die Hoheit über immer mehr Ressourcen und deren Ausbeutung geredet wird?!
Mir erscheint das als Hohn. Während auf der einen Seite der Erde aufgrund eines Ereignisses Menschen leiden, hungern und sterben, reißen sich auf der anderen Seite Menschen die letzten Krümelchen Profit, die das gleiche Ereignis mit sich bringt, unter den Nagel. Ist das nicht krank?
In dem Film „Die Augen des Wegs“ von Rodrigo Otero Heraud ist die Rede von einer Art Krankheit, die die Menschen befallen hat. Diese Krankheit wird nicht genauer benannt, aber ich denke, das was ihr zugrunde liegt, ist die Gier. Die Gier, das Mehr-haben-wollen, die Gier nach immer mehr und mehr liegt dem kapitalistischen System auf fatale Weise zugrunde.
Aber was ist Gier? Welche Struktur liegt ihr zugrunde, und was sagt sie aus über unser Bild von uns selbst?
Wenn ich in der Gier bin, empfinde ich mich selbst als Mangelwesen. Ich bin unvollständig, klein, hilflos, und brauche. Brauche immer mehr. Ich bin im Mangel, sehe mich selbst als Mängelwesen und empfinde alles als nicht genug. Alles muss irgendwie mehr, besser, schöner, schneller, weiter sein.
Wenn also die Gier die Folge eines Mangelgefühls ist, hilft es vielleicht den Spieß umzudrehen, und nicht auf die Mängel zu schauen, die unser Leben, unser Besitz, unsere Welt aufweist, sondern auf das, was wir haben. Auf das Schöne, was ist.
Wenn ich aus diesem Mangelgefühl aussteige, und das sehen lerne, was ich habe, was schön, klein und eben da ist in meinem Leben, empfinde ich mich als unendlich reich. Ich bin reich an Erfahrung, an schönen Momenten, an Leben um mich herum.
Dann brauche ich nicht immer mehr, sondern werde dankbar, vielleicht auch ein wenig demütig.
Blicken wir allerdings mit diesem Blick, der auf liebevolle Weise das umfasst, was ist, auf die Arktis, dann tut das vor allem weh. Denn wir sehen, wie unwiderbringlich das Verschwinden des Eises ist, und wir sehen, was wir in unserem Mangelgefühl imstande sind zu zerstören. Vielleicht gilt es dann als erstes, diesen Schmerz einfach nur auszuhalten.