Ich habe mich letzte Woche ziemlich echauffiert. Im Tagblatt kommentierte jemand die allgemeine Personalknappheit (leider weiß ich seinen Namen nicht mehr) und verwies in diesem Zusammenhang auf die „Heimchen“, gemeint sind Frauen, die Kinder versorgen und ihre Männer Geld verdienen schicken, sowie Frauen, die „nur“ Teilzeit arbeiten – „das mag ja für die Frauen bequem sein, der Wirtschaft fehlen diese Frauen aber“. In etwa so lautete die Aussage des Herren Kommantator.
Nun ja, ich als Frau, die ihre Kinder versorgt und deren Mann die „richtige Arbeit“ macht, fühle mir davon natürlich auf den Schlips getreten. Und hinter diesem Kommentar verbergen sich verschiedene Weltsichten, die ich sehr hinterfragenswert finde.
Erstens: was ist falsch daran, dass ein Leben bequem ist? Ich glaube es ist wichtig, das unsere Leben angenehm sind. Dass wir uns nicht verbiegen müssen, und schnell und immer schneller immer mehr Wert in Form von Geld generieren müssen. Diese Ansicht ist es ja, die uns dahin gebracht hat, wo wir heute sind: eine Welt, die scheinbar losgelöst von allem, was man fühlen, sehen und spüren kann, immer weiter rattert, immer mehr „Wert“ generiert auf Kosten von immer mehr Seelen, die dieses ganze System nicht mehr (er)tragen können. Vielleicht müssen wir uns gar nicht so abrackern, sondern können auch mal innehalten und uns fragen, welchen Preis wir eigentlich für dieses Gerattere zahlen. Ich würde vielmehr allen Menschen ein ein bequemes, gemütliches, angenehmes Leben wünschen. Wenn alle das wollen. Das ist doch toll!
Zweitens: lasst doch die Mütter in Ruhe. Die meisten Mütter, die ich kenne, sind schon in Teilzeit erwerbstätig, und wenn die ihre Arbeitszeit am Arbeitsmarkt erhöhen, dann müssen die Männer weniger arbeiten, um das aufzufangen was durch das Fehlen der Frauen zuhause liegen bleibt. Fehlt also wieder jemand am Arbeitsmarkt. Abgleich des Herren Kommentators mit der Realität: auch eine Familie zu führen ist Arbeit. Und zwar gar nicht so wenig. Die sieht man nur leider nicht.
Zudem warten in Deutschland unendlich viele Menschen darauf, arbeiten zu dürfen. Sie haben nur leider nicht genau die richtigen Papiere dafür, oder nicht das ausreichende Zertifikat, und werden vor Langeweile und Sinnlosigkeit straffällig. Wäre es nicht angebracht, lieber bürokratische Hürden abzubauen, um MigrantInnen schneller im Arbeitsmarkt aufzunehmen, statt auf die Mütter zu schimpfen, die sich eh schon zwischen Familie und Beruf aufreiben?
Drittens: Wo wollen wir eigentlich hin?
Hinter allem, was gerade an Maßnahmen zur Rettung der deutschen Wirtschaft erdacht wird, steht die Aufrechterhaltung des Status quo. Da frage ich mich: ist der denn so toll? Können wir da nicht neu denken, weiter denken, anders denken? Im Zentrum der Anstrengungen der Politik steht ein Leitbild, und das heißt Wohlstand. Ich habe nichts gegen Wohlstand. Solange er gerecht verteilt ist.
Meiner Ansicht nach ist das Leiden, das unsere Gesellschaft prägt, eher Sinnlosigkeit als zu wenig Wohlstand. Neben zu viel Wohlstand für wenige und zu wenig Wohlstand für viele natürlich.
Wir arbeiten alle daran, dass es weiter geht wie bisher, dass alle genug Geld haben, sich all die schönen Dinge zu kaufen, die immer wieder auf den Markt kommen, und so als Konsumenten die Wirtschaft am Laufen zu halten. Dabei ist uns der Sinn völlig abhanden gekommen, wir haben die Verbindung zu dem, was wirklich zählt zu großen Teilen verloren. Dabei meine ich nicht, dass ich etwas weiß, was wirklich zählt, sondern dass viele von uns gar nicht wissen, was für sie wirklich zählt. Ist es wirklich die Generierung von immer mehr Wert, einer immer weiter steigenden Wirtschaftsleitung, ja nicht stehen bleiben, immer weiter, immer mehr?
Vielleicht gibt es auch andere Werte, die wir wieder viel mehr ins Zentrum rücken könnten. Spiritualität zum Beispiel. Angebundensein, Verbundenheit, Da-sein.
Wir könnten sozusagen die Krise, die gerade in alle Lebensbereiche ragt, nutzen um neu zu denken, um uns neu auszurichten. Und vielleicht anzufangen, größer zu denken, einmal raus zoomen, und aufhören mit dem Weiter-wie-bisher. Denn das kapitalistische System, in dem wir leben, produziert zu viele Verlierer. Nicht zuletzt alle Menschen – indem es ausbeutet, verbraucht und erstickt, und mit dieser Geisteshaltung unsere eigene Lebensgrundlage zerstört.