Wildpferde oder die Sache mit dem Kick

Ich war in den Ferien in einem Naturschutzgebiet. Geltinger Birk, an der Ostsee. Wir wussten, dass es hier neben vielerlei anderen Tierarten, vor allem Vögeln, die auf diesem Gebiet relativ geschützt sind vor menschlichen Einflüssen, auch Wildpferde gibt. Wir hatten noch nie Wildpferde gesehen, und so wählten wir die Route durch das Gebiet, auf der wir mit großer Wahrscheinlichkeit die Pferde sehen können würden. Es ist ein recht großes Gebiet, und Menschen sind nur auf den Wegen erlaubt, die dennoch genügend Platz lassen, dass die Tiere sich auch abseits aufhalten können.

Aber tatsächlich, wir hatten Glück! Nach circa einer halben Stunde Fußmarsch, auf der wir schon Kormorankolonien (die übrigens ihre Nistbäume durch ihren Kot zerstören, kleiner Fakt am Rande) und Galloways bestaunen konnten, entdeckten wir die Koniks (so heißt die Pferderasse) auf einer Wiese, rastend.

Nun ja, was soll ich sagen.

Es war zunächst mal einfach eine Pferdeherde. Gemütlich standen sie beisammen, kauten, Fohlen lagen herum, alle viere genüsslich von sich gestreckt, im sicheren Schutz der Herde dösend, ein paar junge Hengste hatten sich zusammen gruppiert und sahen aus, als heckten sie irgendwas aus.

Auf der einen Seite: voll besonders. Pferde, die einfach nur sein dürfen. Natürlich auch zur Landschaftspflege. Aber genau das ist ja ihr Ding: fressen und rumlaufen. Sie sind da, um sie selber zu sein, um einfach zu leben. Schön, im Gegensatz zu den Pferden, die es ja auch gibt: hochgezüchtet und leistungs-gestört durch den Menschen.

Andererseits: auch ein bisschen enttäuschend. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Vielleicht alles ein bisschen pompöser, wilder, freier, irgendwie bombastischer.

Und da ist er wieder: dieser Drang nach mehr. Es müsste doch schon ein bisschen mehr sein. Natur an sich ist halt Natur. Da glänzt nichts, kein Orchester setzt ein, es gibt nichts, was irgendwie… kickt. Es sind halt Pferde, und die grasen.

Dann werde ich ein bisschen nachdenklich. Auch ein bisschen traurig. Darüber, dass alles immer „kicken“ muss, um wahrgenommen zu werden. Darüber, dass wir Menschen – sorry, Verallgemeinerung, trifft vielleicht nicht auf alle zu, aber doch auf einen Großteil der Gesellschaft, würde ich sagen – dazu neigen, alles immer irgendwie verändern zu wollen, verbessern, maximieren, nutzen, verwenden.

Wie schön wäre es, wenn wir lernen würden, Dinge einfach sein zu lassen. Nicht immer noch was hinzu zu fügen, sondern uns zurückzuhalten, um den Lauf des Lebens um uns herum nicht zu stören.

Das erfordert in gewisser Weise Nüchternheit. Manchmal denke ich, dass wir alle ein bisschen zu voll sind. Zu voll an Eindrücken, zu voll an Gedanken, zu voll an Erwartungen, zu voll mit der Suche nach Kicks. Dass wir erstmal lernen könnten, leer zu werden, um die Dinge wirklich wahrzunehmen.

Und dann finde ich diese Herde, dieses Gebiet wiederum wahnsinnig beeindruckend. Und schade, dass man erst so ein Gebiet braucht, das den Menschen aussperrt, aber umso wichtiger, dass es sowas gibt! Gebiete, in denen das Leben in möglichst ausbalancierter Weise sein kann. Gebiete, die möglichst frei sind vom Menschen und diesem Drang nach mehr.

Schön sind diese Tiere. Schön, leise-kraftvoll, ruhig. Einfach da. In sich, als Herde. Und ich fühle mich reich beschenkt, dass ich sowas sehen darf.

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