Familienabendessen oder die Sache mit der Mango

Schon wieder ist es passiert. Schon wieder bin ich dem Geschrei meiner Kinder auf den Leim gegangen. Zum Abendessen gabs Mango, und weil es nicht so viel gab musste geteilt werden. Der Futterneid war groß, oder besser: die Angst, nicht so viel zu bekommen wie die anderen.

Die Mango ist leer, die Jüngste bekommt den Kern zum Abknabbern, und schon geht ein Gebrüll sondergleichen los.

Reaktion eins: mein Ältester beginnt zu heulen, so laut, dass es überall in den Nachbarwohnungen zu hören sein muss. Alle Anderen hatten mehr, er nicht genug, er schnappt sich das Wurstbrot, das vor ihm liegt und schmeißt es wütend in die Luft.

Reaktion zwei: mein Zweitältester schmeißt sich aufs Sofa und bricht in ein Urgebrüll aus, ohne definierbare Artikulation. Das, was sich verstehen lässt, ist: er hat so wenig von den anderen Sachen gegessen, da hat er ja wohl ein Recht auf mehr Mango.

Die Botschaft meiner beiden Jungs ist klar: alle beide hatten zu wenig.

Und was sage ich?? Ich habe ein schlechtes Gewissen (obwohl noch nichtmal ich die Mango gekauft hatte) und sage verständnisvoll: „Oh, da brauchen wir wohl morgen für jeden eine Mango!“

Hä????

Was zur Hölle…?

Was bin ich für eine Mutter, die den Wünschen ihrer Söhne hinterherturnt, während meine Tochter ihren Brüdern auch noch von ihrem Kern abgibt? Weil sie so brüllen?

Dass meine Kinder sind wie sie sind, mag nicht nur an mir liegen. Immerhin bringen sie selbst einiges mit. Dass meine Tochter ihren Brüdern lieber was abgibt als andersrum, dass sie viel eher bereit ist zu helfen, dass sie insgesamt viel ruhiger ist und sich besser mit sich beschäftigen kann – es liegt wohl nicht alles in meinem Verantwortungsbereich.

Aber woher kommt dieser Drang, meinen Kindern (vor allem den Söhnen, die am lautesten Brüllen) alles recht zu machen?? Ich heimse dafür natürlich nichts als Verachtung und Riesenverhandlungen über den kleinsten Scheiß ein!!

Antwort eins: Ich habe es nicht anders gelernt. Auch in meiner Ursprungsfamilie waren es die Jungs, denen alles recht gemacht wurde. Oder besser gesagt, es waren meine Brüder, für die die Extraportionen gekocht wurden.  Wenn es Gemüse gab, und einer meiner Brüder aß kein Gemüse, dann bekam er eben Nudeln mit Ketchup.

Ich hingegen habe noch nichtmal darüber nachgedacht, ob ich das Essen überhaupt mag, sondern habe mich an die Worte meines Vaters gehalten: „Es wird gegessen was auf den Tisch kommt“. (Warum auch immer ich als Mädchen mich an der Strenge meines Vaters orientierte, während die Jungs wussten, wie sie an andere Sachen kamen..;))

Antwort zwei: Das schlechte Gewissen. Meine Jungs sind schon in der Schule, haben sehr lange Tage, und sind ständig im Fight um alles. Natürlich auch um meine Aufmerksamkeit, aber primär geht es eigentlich um jede Kleinigkeit und dann immer ums Gewinnen, Mehr-haben, Besser-sein. Aber auch da ist es nicht besonders hilfreich, auf jedes Gefühl mit Liebe und Verständnis zu reagieren.

Was diese Jungen brauchen, sind Grenzen. Kleine, große, dämliche Grenzen. Denn allein weil sie wissen, dass bei mir alles verhandelbar ist, dass ich aus schlechtem Gewissen OFT (zu meiner Ehrenrettung: nicht immer), auf das Gejammer und die Schreierei eingehe.

Frei nach dem Motto: Och, der Arme, kommt ja immer zu kurz als erster von drei Kindern – quasi ein Ältesten-bad concsience: die Kleineren haben ihm seinen Thron genommen, deshalb braucht er eine Sonderbehandlung.. oder wahlweise auch ein schlechtes Gewissen dem Zweiten gegen über, als zweites von drei Kindern (Sandwich-bad-conscience, der Mittlere rutscht ja immer weg, deswegen braucht er die Sonderbehandlung).

Wahlweise und Situationsabhängig gibt es dann noch das „Kleinsten-bad-conscience“, dass die Kleine zu kurz kommt.

Eigentlich habe ich konstant ein schlechtes Gewissen. Das schlechte Gewissen, dass meine Kinder meine Liebe teilen müssen. Dass ich nicht genug bin, dass meine Liebe begrenzt ist, ich auch manchmal genervt bin oder die Welt manchmal blöd ist. Als müsste ich einfach größer, besser, liebender, verständnisvoller sein, dann „gelingt meine Erziehung“ auf jeden Fall!

Aber kann ich das alles kompensieren, indem ich meine Grenzen verwische? Indem ich alle Bedürfnisse meiner Kinder befriedige, oder vielmehr jeder ihrer Launen nachspringe, damit sie glücklich sind?

Ja, ich möchte, dass meine Kinder glücklich sind!

Aber bedeutet Glück, dass man immer alles bekommt was man will?

Eigentlich wird man doch schrecklich unzufrieden, wenn man beim kleinsten Geschrei alles bekommt.

Ich stärke ihre Unzufriedenheit, ich stärke das Geschrei und Gejammer und Gehadere, weil ich eine Wirkung erzeuge. Indem sie jammern und schreien, und dann bekommen, was sie wollen, ich immer für sie einspringe, wenn was nicht klappt und immer versuche alles von ihnen fernzuhalten, was sie unglücklich machen könnte, lernen sie gar nicht, mit Grenzen umzugehen. Und irgendwann werden sie zu Erwachsenen, die immer jemanden suchen, der ihnen die Leidigkeiten und das Generve des Lebens vom Hals hält. Aber das Generve des Lebens gehört halt dazu! Scheitern gehört dazu. Niederlagen gehören dazu, und eben auch, mal nicht zu bekommen was man will.

Wäre es nicht viel gescheiter und nachhaltiger, den Kindern eben diese Grenzen der Welt zuzumuten? Ihnen meine Grenzen zuzumuten, und ihnen zu zeigen, dass Niederlagen dazu gehören?? Denn damit müssen sie später auch leben.

Statt sie in einen Wattekokon zu packen, sollte ich meinen Kindern lieber zeigen, dass Grenzen dazu gehören. Dass das Leben selbst nicht immer das bereit hält, was man erwartet.

Sie sollten selbst aufs Pferd aufsteigen lernen, statt von ihrer Mutter immer wieder in den Sattel gehoben zu werden. Denn irgendwann sollen sie selber reiten.

Mein Mann ist nach der Mangoepisode vom Esstisch aufgestanden und hat laut gesagt: „Wenn ihr so reagiert, gibt’s überhaupt keine Mango mehr. Und jetzt zieht ihr eure Schlafanzüge an und geht ins Bett.“

Da wurde es auf einmal still.

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